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illkommen zum Tag der verzweifelten Analysen. Aufgekratzte Trump-Anhänger stürmen das Capitol. Wie konnte das denn passieren? Immer wieder hörte man Daten-Journalisten flehen “Hoffentlich lockern die die Algorithmen”. Mit “die” waren hauptsächlich Facebook und Google gemeint und das Stoßgebet bezog sich auf die berühmten Algorithmen, die in Pandemie-freien Zeiten lediglich für gesellschaftliche Gräben sorgen, in dem sie das individuelle Weltbild jedes einzelnen permanent verstärken. Denn nur wenn sich die Maschine maximal an uns anschmiegt, sind wir bereit, viel Zeit mit ihr zu verbringen. Eine Pandemie hat neben vielen Toten den Effekt, dass Regierungen Lockdowns, oder Teillockdowns verhängen müssen, was zu einem rapiden Anstieg der Screentime führt, was wiederum automatisch alle Effekte von Echokammern bis Tribalismus verstärkt. 

Man hätte im Silicon Valley die eigene Verantwortung erkennen können, um wenigstens in der Katastrophenzeit in Sachen Growth Hacking etwas vom Gas zu gehen. Etwa in dem man hochemotionale Fake News über Chip-Impfungen und dergleichen trotz ihres hohen Engagement-Grades in den News-Feeds etwas abgewichtet und stattdessen die Durchlässigkeit für seriöse Quellen in den Filtern erhöht. Man hätte den verschnupften Shareholdern die dadurch entstehenden Performance-Einbußen zum Beispiel mit dem Hinweis auf Corona-Tote verkaufen können. Man hätte hochperformante Gruppen, die der Wissenschafts-Skepsis Vorschub leisten, für die Pandemie-Zeit einfrieren können. Youtube hätte entsprechend dafür sorgen können, dass bei der Suche nach Corona-Infos die Spalte mit den Videoempfehlungen nicht voller Verschwörungsmystiker ist – die User hätten es mit hoher Wahrscheinlichkeit gar nicht gemerkt. 

Stattdessen hat man sich im kompletten Silicon-Valley für das Modell „Alles Mitnehmen“ entschieden. Die Interaktionsraten sind dank Lockdown auf allen Kanälen explodiert, Gewinne werden mitgenommen, Verluste werden auf den User umgelegt. Es fragt ja auch keiner nach. Die Kommentatoren machen nicht Facebook und Google für die Spaltung der USA verantwortlich, sondern das Symptom Donald Trump. The Donald hat angeblich die halbe Nation zu Idioten gemacht. Ohne Trump wären die USA nie an den Rand eines Bürgerkriegs gekommen. Das ist einfach, schlüssig und für Herren mittleren Alters bequem in Talkshows zu erklären – aber es ist falsch. 

Wir haben in Deutschland keinen Donald Trump. Um genau zu sein, haben wir das exakte Gegenteil von Donald Trump. Vielleicht erinnern sich noch einige an den 8. August, als nur mit Mühe die Stürmung des Bundestags verhindert wurde. In Berlin kann man kaum noch ein Taxi oder einen Spätkauf betreten, ohne darüber belehrt zu werden, in einem illegitimen Staat zu leben. Aber die Erzählung, denen die Plattform-Betreiber eifrig zunicken, ist folgende: Die Leute sind alle irgendwann bekloppt geworden und haben sich anschließend auf Social Media Kanälen zusammengerottet. Zu selten reden wir darüber, dass Monopole unsere Kommunikation zu ihren Bedingungen diktieren. Dass Google und Facebook ihre Nutzer wie auf einer Datenplantage halten und als bewusste Design-Entscheidungen Monokulturen pflegen, die streng voneinander abgegrenzt nach Weltbildern sortiert werden.

Noch seltener reden wir über geplante Einsamkeit. Ein Mensch, der allein in einem Raum mit einem Computer sitzt, ist auch dann einsam, wenn er das Gefühl hat, zu Tausenden zu sprechen. Sowohl die Isolation als auch die Fiktion des Gefühls eines sozialen Erlebens sind elementare Faktoren dafür, die maximale Aufmerksamkeit eines Nutzers zu bekommen. Welchen Grund hat ein Mensch, dann noch seine Echokammer zu verlassen? Es stimmt, dass sich Menschen auch ohne Algorithmen unter Gleichgesinnten am wohlsten fühlen. Aber anders als noch vor 20 Jahren, arbeiten heute die besten Programmierer der Welt im Auftrag der mächtigsten Unternehmen der Menschheitsgeschichte jeden Tag daran, dass wir die Gruppe nicht mehr verlassen wollen. Nichts sorgt dafür effektiver, als die Existenz der Outer Group, also alle anderen, die Gegner, die nichts verstanden haben. Und so stehen sich unterschiedliche politische Lager, zunehmend aber auch Gesellschaftsklassen wie verfeindete Sportclub-Ultras gegenüber.

Der Outgroup Effekt wirkt selbstredend in beide Richtungen. Längst hat die linksliberale Schickeria die ehemalige Arbeiterklasse in Rechts-Wähler, Aluhüte und Putschisten aufgeteilt, während man sich sicher ist, dass immer nur die anderen manipuliert werden. Dabei liegt es in der Natur der Manipulation, dass sein Opfer keine Sekunde lang am eigenen Weltbild zweifelt.

Das alles sind bewusste Design-Entscheidung. Warum? Weil es viel profitabler ist Monokulturen zu bestellen. Facebook und Google geben obszöne Lobby-Summen dafür aus, Politik und Öffentlichkeit weiszumachen, das Hauptproblem seien die Nutzer, nicht die Plattformen. Um dann zu empfehlen, doch mehr in Bildung zu investieren. Infrastruktur und Cloud-Server könnte man unter Umständen sogar komplett gratis einrichten.

Ich würde mir sehr wünschen, dass im anstehenden Talkshow-Marathon zum Thema “Wie konnte das passieren?” die Damen Katharina Nocun und Pia Lamberty (Fake Facts), oder Julia Ebner (Radikalisierungsmaschinen) zwischen den angegrauten Amerika-Kennern im Dreiteiler sitzen. Denn wenn wir weiterhin nur die Idioten im Nachbar-Graben für den Niedergang der Demokratie verantwortlich machen, dann werden in Zukunft noch viele weitere Parlamente gestürmt. 

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