Facebook & Google
sind die ersten echten Götter
Warum Medienkompetenz im Religionsunterricht gelehrt werden sollte und wir lernen müssen, unsere Werbebanner zu deuten
Was müsste eine außerirdische Macht tun, um die Kontrolle über die Menschheit erlangen? Sie könnte uns zum Beispiel fantastische Gratis-Dienste anbieten, die uns dort attackieren, wo wir am verwundbarsten sind: Unsere eigene Eitelkeit. Im Tausch gegen ein geschickt suggeriertes Maximal-Selbstwertgefühl würden wir der Macht alle Informationen über uns schenken. Und damit könnte sie uns kontrollieren. Dieser faustische Pakt ist längst Realität. Der Macht kommt nicht aus einem anderen Sonnensystem, sondern aus dem höchst eigenen: Facebook, Google, Amazon und Microsoft fühlen sich zwar wie anschmiegsame technologische Begleiter unseres Alltags an, aber genau das ist der Trick: Tatsächlich betreiben diese Unternehmen unterschiedliche perfide Systeme, die uns dafür belohnen, Informationen zu teilen, über die wir vermessen und manipuliert werden sollen. Diese vier Unternehmen sind die brillantesten Ausgeburten des Monsters namens Kapitalismus, das erstmals in der Menschheitsgeschichte in der Lage ist, unsere Seelen zu fressen. Aber der Reihe nach.
Um uns so prognostizierbar und kontrollierbar wie möglich zu machen, muss der Individualismus zurückgedrängt werden: Der Datenkapitalismus funktioniert dann am besten, wenn Menschen so vergleichbar wie möglich sind. Nicht ohne Grund wissen wir längst vorher, wie, wann und warum Menschen online ihren Emotionen freien Lauf lassen. Überhaupt hat der Datenkapitalismus viel mehr mit Psychologie als mit Technologie zu tun. Denn Emotionen sind der Schlüssel zu Aufmerksamkeit und Aufmerksamkeit ist der Schlüssel Daten. In der Folge belohnen Social Media Services extreme Emotionalität und bestrafen Zwischentöne. Denn unzählige Studien beweisen: Je intensiver der emotionale Grundton eines Online-Inhalts ist, desto höher ist seine Verbreitungsgeschwindigkeit und das damit verbundene Datenaufkommen. Dieses perfekte System aus Belohnung und Bestrafung sorgt für eine Massenkonditionierung, man kann auch sagen Massenmanipulation. Der freie Wille, auf den die Menschheit so lange so stolz war, ist eine Illusion. Facebook und Google beweisen, wie mühelos man den Menschen über kluge Reiz-Reaktions-Muster steuern kann. Intelligente und adaptive Algorithmen haben dabei im Dienste des Silicon Valley längst unsere Köpfe gekapert und programmieren uns im wahrsten Sinne des Wortes um. Wir haben Services aus dem Silicon Valley ohne Skepsis zum Betriebssystem unseres Lebens erklärt, ohne uns ein Bild von den ökonomischen Interessen dahinter zu machen.
Bis vor Kurzem hat der Kapitalismus den Menschen nur auf Basis seiner Muskel- und Ideenkraft ausgebeutet - die Gedanken blieben frei. Mittlerweile sind unsere Gedanken jedoch der wichtigste Rohstoff der Welt, der ohne Rücksicht auf Verluste erschlossen wird. Facebook und Google wollen wissen, was wir denken und wie wir fühlen. Mehr noch: Facebook und Google wollen steuern, wie wir denken und wie wir fühlen. Mit der Vermessung unserer innersten Geheimnisse haben Unternehmen erstmals die Macht, unsere Bedürfnisse zu steuern, wobei wir längst in einer Welt leben, in der täglich mit unseren Emotionen und unserer Wahrnehmung experimentiert wird. Wir reden aus Mangel an Erfahrung immer noch von Unternehmen. Bislang hat der Mensch jedoch all jene, die alles über uns wissen und über diese Macht unseren Weg vorzeichnen können, Götter genannt.
Wir tun so als wären Facebook und Google neutrale Informations- und Kommunikations-Infrastrukturen, dabei sind diese Kanäle dafür optimiert, Informationen aus unseren Köpfen zu rendern. Dabei reden wir viel zu selten über die Abfallprodukte dieses Informations-Abbaus: Angst und Hysterie entstehen, wenn zu aggressiv nach unseren extremsten Emotionen gebohrt wird. In der öffentlichen Debatte ist dieser Effekt längst zu beobachten, was uns alarmieren muss: Angst und Hysterie sind die natürlichen Feinde der Demokratie und zuverlässige Vorboten des Totalitarismus.