Ooops. So oder so ähnlich wird Mark Zuckerberg auf den Putsch in Myanmar reagiert haben. Denn die anhaltenden Unruhen in dem 53-Millionen-Einwohner -Staat gehen direkt auf ein Menschen-Experiment zurück, das leider aus dem Ruder gelaufen ist. Und das ging so:

Im Juni 2016 rollte Facebook in Myanmar den Service Free Basics aus, ein Programm, das den Bürgern gratis Internet versprach bzw. die gratis Nutzung der Facebook-Dienste ohne Provider-Kosten. Damit wurden die Interaktions-Algorithmen, die schon die US-Amerikaner im Clinton-Trump-Wahlkampf überfordert hatten, über ein Land gestülpt, in dem die Medienkompetenz aus Gründen kaum ausgeprägt war: Bis 2010 herrschte in Myanmar 50 Jahre lang eine Militärdiktatur, weshalb die Bürger kaum einen Grund hatten, öffentlichen Medien zu trauen. Stattdessen hatten Gerüchte wie in jeder Diktatur ein großes Gewicht. Aber weil sie im Silicon Valley keine Bücher außer Business-Bibeln lesen, war Mark Zuckerberg nicht bewusst, was passiert, wenn man so einem Volk die größte Fake-News-Schleuder der Menschheitsgeschichte in die Hände drückt. Im Gegenteil. Zuckerberg kommentierte 2015 die Entscheidung, Free Basics unter anderem in Myanmar anzubieten mit dem Optimismus eines Jungmilliardärs:

Die Antwort folgte ein knappes Jahr später: Im August 2017 waren innerhalb kurzer Zeit mehr als 700.000 muslimische Rohingya vor einem brutalen Militäreinsatz nach Bangladesh geflohen. Ich wiederhole: Das ganze passierte innerhalb eines Jahres. Die UN-Ermittlerin Yanghee Lee erklärte Facebook zum Hauptverursacher des Konflikts. Oder wie sie 2018 selbst sagte:

In Myanmar war in besagtem Jahr nichts anderes passiert als im Rest der vernetzten Welt: Hassposts und Gerüchte über Minderheiten, in dem Fall die Rohingya, verbreiteten sich ungleich schneller als Katzenbilder und Familienfotos. Die Memes sehen genauso aus wie in Deutschland oder den USA. Verbreitet wurden sie hauptsächlich von buddhistischen Nationalisten, die sich besonders dicht beim Militär versammelt haben und selbstredend immer noch versammeln. Facebook entgegnete dem Vorwurf, wie immer: Unsere Community-Guidelines, denen jeder Nutzer zustimmt, verbieten Hate Speech. Das Problem ist nicht die Plattform, das Problem sind die User. 

Bis heute stimmen Politiker auf der ganzen Welt diesem Narrativ zu und bedanken sich bei Facebook für die Kooperation, wenn es darum geht, die Nutzer zu bestrafen, also die Kosten von uns allen tragen zu lassen. In der Debatte über Radikalisierungstendenzen vergessen wir allerdings die Wurzel der Probleme: Die Stürmung des Capitol, die Riots in Holland und der Militärputsch in Myanmar sind Ereignisse in immer kürzeren Abständen, die alle ihren Ursprung vor allem auf den Facebook-Diensten haben. In 20 Jahren wird man – wie viele Demokratien auch immer dann noch funktionieren – feststellen: Ja, das hat sich angedeutet. In der Gegenwart neigen wir jedoch zur Hoffnung, das alles trotz der erdrückenden Anzahl besorgniserregender Ereignisse schon nicht so schlimm wird.

Momentan ersaufen wir in so vielen Informationen, die uns jeweils zum sofortigen Handeln drängen, dass man kaum noch Zeit findet, die ganzen Impulse ihrer Dringlichkeit nach zu sortieren. Und plötzlich übersieht und überhört man so zentrale Ereignisse wie das Experiment mit Free Basics, das nicht nur in Myanmar für unzählige Flüchtlinge gesorgt hat, das gleiche Programm zwingt Indien immer wieder zum kompletten Internet-Shutdowns, weil Lynch-Mobs angestachelt von Fake-News in geschlossenen WhatsApp-Gruppen das Gesetz in die eigene Hand nehmen. Es ist dramatisch, dass kaum ein westlicher Politiker überhaupt von Free Basics gehört hat, stattdessen streiten wir an manchen Tagen darüber, ob Fußballstadien trotz Corona wieder Zuschauer aufnehmen sollten. Fußball!

Während sich unsere Horizonte ebenfalls dank Interaktions-Algorithmen zunehmend verengen, schrauben meistens weiße männliche Zauberschüler Ende zwanzig an einer ganz neuen Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung. Mit wenigen Handgriffen gelingt es ihnen, ganze Volkswirtschaften ins Chaos zu stürzen. Gemäß der Lean Startup Methode von Versuch und Irrtum, die Mark Zuckerberg persönlich mit dem Motto “Move Fast and Break Things” belegt, missbrauchen diese Menschen 53 Millionen Versuchskaninchen, um Fehler zu erzeugen, aus denen man in Zukunft lernen kann. Die gute Nachricht ist: Noch ist Zeit zum Handeln.

Problematisch wird es, wenn immer mehr Autokraten, oder Putschisten in die Parlamente ziehen und Deals mit den Plattformen eingehen, die de facto die zentrale Macht in die Hände der Technokraten legen. Das ist die süße Fantasie der ultralibertären Bro-Clubs im Valley, aber: Who could possibly want that?

Gerne lade ich in diesem Atemzug dazu ein, die Gesellschaft für Digitale Ethik zu unterstützen.

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